März 2022

Risikomanagement in Zeiten der Unsicherheit

von Paul Bradford

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Risikomanagement in Zeiten der Unsicherheit

März 2022 von Paul Bradford

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In Zeiten voller Instabilität und Unvorhersehbarkeit werden die bewährten Strukturen des geschäftlichen Miteinanders mitunter auf eine harte Probe gestellt. Das kann geplante oder laufende Geschäftsverhandlungen empfindlich stören und negativ beeinflussen. Wie können Unternehmen und ihre Verhandler mit Unsicherheit und den daraus resultierenden Risiken umgehen?

Vermutlich haben nur die Älteren unter den Lesern dieses Leitfadens eine wirtschaftliche Unsicherheit, wie wir sie in den vergangenen Jahren gesehen haben, in ihrem Berufsleben schon einmal erlebt. Beispiellose globale Herausforderungen haben Unternehmen vor Probleme gestellt, denen sich die wenigsten je stellen mussten. Zumindest kurzfristig scheint keine Besserung der Unsicherheit, in der wir aktuell leben, in Sicht.

In Krisenzeiten und Unsicherheit werden die bewährten Strukturen des geschäftlichen Miteinanders auf eine harte Probe gestellt. Oft zeigt sich das im Verlauf von Geschäftsverhandlungen und den daraus resultierenden Verträgen, die ihrerseits die gesamte künftige Geschäftsbeziehung prägen.

Selbst vor dem Hintergrund stabiler politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse ist die Einigung auf Vertragsinhalte, mit denen beide Parteien zufrieden sind, manchmal eine schwierige Aufgabe. Doch was geschieht, wenn diese Rahmenbedingungen an Stabilität verlieren? Bei der Wertschöpfung im Verhandlungsprozess geht es um Sicherheit. Relativ stabile Wechselkurse, niedrige Inflationsraten, ein zuverlässiger und sicherer Vertrieb, Kostentransparenz, sichere Arbeitsbedingungen und vorhersehbare Konsumgewohnheiten machen es möglich, den jeweiligen Verhandlungspunkten einen relativen Wert zuzuschreiben. Darauf stützt sich das Geben und Nehmen sowie das Eingehen von Kompromissen in einer Verhandlung, bei der beide Parteien die ausgetauschten und vor allem der gewonnenen Werte abschätzen können.

Eine Destabilisierung des Umfelds wirkt sich unmittelbar auf die Wertabschätzung aus und führt zu Unsicherheiten. Und die Folge dieser Unsicherheiten sind Risiken.

Was können Unternehmen tun, um mit Unsicherheit und den daraus resultierenden Risiken umzugehen?

Unsicherheit birgt Risiken

Führen Sie eine ausführliche Szenarienplanung durch und bewerten und quantifizieren Sie die bestehenden Risiken. Durch die Bewertung des potenziellen Risikos können Sie auf seine potentiellen Auswirkungen schließen. Ist ein Risiko bewertet, können Sie es quantifizieren, qualifizieren und priorisieren und in der Folge eine bewusste Entscheidung treffen, wie es bewältigt werden kann. Szenarien- und Risikoplanung erlauben Ihnen, die Kontrolle über die Situation zu erlangen.  Eventuell können verschiedene Optionen identifiziert werden, durch die Risiken gemindert, Notfallpläne erstellt oder sogar Risiken als Handelsvariablen eingesetzt werden können.

Angleichung anstreben und Erwartungen steuern In unsicheren Zeiten müssen bisherige Erwartungen hinsichtlich der Leistung und der erzielten Ergebnisse unter Umständen angepasst werden. Zielsetzungen, die auf früheren Leistungen basieren, sind als Bewertungsmaßstab für aktuelle Leistungen möglicherweise nicht mehr geeignet. Eine Neubewertung unter Berücksichtigungen der derzeitigen Umstände ist also angezeigt. Das könnte zwangsläufig weitreichende Folgen innerhalb des Unternehmens nach sich ziehen, die viele Menschen betreffen. Im Hinblick darauf werden die Steuerung interner Erwartungen und die Angleichung an modifizierte Ziele ausschlaggebend sein, insbesondere, wenn die zeitlichen oder finanziellen Auswirkungen erheblich sind.

Knüpfen Sie engere Geschäftsbeziehungen Es mag das Wesen der Geschäftswelt widerspiegeln, dass Unternehmen auf der ganzen Welt seit gut 40 Jahren die Vorzüge enger Partnerschaften preisen, am Verhandlungstisch aber nach wie vor eigennütziges Verhalten an den Tag legen. In Krisenzeiten und Unsicherheit sind jedoch echte Partnerschaften gefragt. Die Bewertung und Minderung von Problemen kann Ihnen beim Umgang mit vorhersehbaren Risiken sehr zugute kommen, aber in unsicheren Zeiten müssen auch unvorhergesehene Herausforderungen bewältigt werden. An diesem Punkt zeigt sich, ob eine Partnerschaft echt ist. Als Orientierungshilfe kann die Definition eines „echten Partners” bei The Gap Partnership dienen, die seit jeher das Konzept einer wechselseitigen Beziehung zwischen den Parteien und die Bereitschaft beinhaltet, sich zur Lösung von Problemen auch überproportional zu engagieren.

Sind Sie (und Ihre Geschäftspartner) bereit, in Krisenzeiten und angesichts der dadurch entstehenden Probleme neu zu verhandeln, vertragliche Vereinbarungen zurückzustellen oder zu ändern? Würden Sie auch finanzielle Verluste hinnehmen, um die Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten?

Für einige unserer Leser, besonders für jene, die in der Vergangenheit die Diskrepanz zwischen dem vielzitierten und hochgelobten Konzept der Partnerschaft und der Realität erlebt haben, ist das sicherlich erstrebenswert. Bedenken Sie aber, dass in unsicheren Zeiten kein Unternehmen vor den Folgen gefeit ist. Das zuvor bestehende Machtgefüge zwischen den Parteien (das sich durchaus bewährt haben kann) verlagert sich möglicherweise, und die Unsicherheit, mit der Sie sich konfrontiert sehen, kann für Ihr Gegenüber noch schwieriger zu bewältigen sein. Die Argumente für eine offene, vertrauensvolle Geschäftsbeziehung sind heute zwingender denn je.

Planen Sie sowohl kurzfristig als auch langfristig. Geschäftsverträge und Planungszyklen sind innerhalb Ihrer Branche im Allgemeinen recht beständig. Langfristige Prognosen und Geschäftsplanung sind für die meisten Unternehmen zwingend notwendig, denn ohne sie sind Wachstums- und Investitionspläne sowie die Sicherung der Gesundheit des Unternehmens nicht möglich. In unsicheren Zeiten sollte diese Art der Planung allerdings durch kürzere Planungszyklen und die Agilität, schnell auf das sich verändernde Umfeld zu reagieren, ergänzt werden. Je agiler und reaktionsfähiger ein Unternehmen ist, desto eher kann es sich anpassen. Ihre Verhandlungsziele und die Klauseln in Ihren Verträgen sollten das widerspiegeln. Es wäre kein Widerspruch, eine langfristige, wechselseitige Geschäftsbeziehung zwischen zwei Unternehmen anzustreben und dennoch kurzfristige Neuverhandlungen bei sich ändernden Umständen, unvorhergesehenen Problemen oder neuen Möglichkeiten einzuplanen.

Machen Sie sich die Denkweise eines Verhandlers zu eigen. Die Verträge, die von Ihren kaufmännischen Teams ausgehandelt werden, könnten erhebliche interne Auswirkungen haben. Wie bereits erwähnt, können angesichts von Unsicherheiten Änderungen − besonders an kurzfristigen Zielen − nötig werden, und diese wiederum können sich auf das gesamte Unternehmen auswirken. Bei internen Abhängigkeiten ist es von Vorteil, wenn diese anderen Abteilungen sich nicht nur der Auswirkungen bewusst sind, sondern auch darauf achten, sich nicht versehentlich falsch auszurichten. Auch heute noch kommt es nur allzu oft vor, dass isolierte Abteilungen nach eigener Agenda arbeiten. In unsicheren Zeiten ist die Verankerung einer Verhandlungskultur in der Denkweise aller Abteilungen von besonderer Bedeutung, damit jeder sich bewusst ist, welchen Beitrag er zu den geschäftlichen Bemühungen des Unternehmens leisten kann.

Förderung von Kreativität und Innovation. Unsicherheit führt zu Angst vor dem Unbekannten, und ein Zurückgreifen auf die Norm ist in Krisenzeiten eine natürliche Reaktion. Vertrauen Sie auf Altbewährtes. Weichen Sie nicht von den Praktiken ab, die Ihnen in der Vergangenheit Erfolge beschert haben. Dieses Verhalten kann die vor Ihnen liegenden Herausforderungen verschärfen, anstatt sie zu lösen. Handeln Sie stattdessen proaktiv; halten Sie nach Möglichkeiten und Lösungen Ausschau. Kreativität und Innovation werden zwar üblicherweise eher mit anderen Geschäftsfunktionen in Verbindung gebracht, haben aber auch im Verhandlungsbereich durchaus ihren Platz. Suchen Sie nach kreativeren Möglichkeiten der Problemlösung und Wertschöpfung. Teilen Sie mehr Informationen, loten Sie beidseitige Chancen aus und bleiben Sie offen für die Ideen Ihres Gegenübers. Es liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache, dass ein Artikel über Risikomanagement in unsicheren Zeiten nahelegt, zu diesem Zweck selbst das eine oder andere Risiko einzugehen. Kreativität und Innovation beim Verhandeln bergen aber zwangsläufig Risiken, sei es, dass Sie einem Geschäftspartner mit mehr Offenheit begegnen, sich bei der Lösung gemeinsamer Probleme überproportional engagieren, Vertrauen in bisher nicht vorhandenem Maß zeigen oder bereit sind, sich auf neuartige Konzepte einzulassen.

Es wäre naiv zu glauben, dass es einfache Lösungen für den Umgang mit Unsicherheit und den damit einhergehenden Risiken gibt. Oft wird auch der Einwand vorgebracht, es läge in der Natur des Menschen, Risiken schlecht bewältigen zu können. Die Normalitätsverzerrung − ein kognitives Reaktionsmuster, das Menschen dazu veranlasst, Bedrohungswarnzeichen nicht ernst zu nehmen oder zu unterschätzen − ist ein bekanntes Konzept, das dazu führt, dass die Folgen einer Krise unterschätzt werden und folglich nicht gehandelt wird. Es ist wenig überraschend, dass die Geschichtsbücher voller Bespiele von Menschen sind, die wenig getan haben. Wie in diesem Artikel dargelegt, gibt es eine Alternative. Seinen Sie proaktiv, handeln Sie außerhalb der Norm und seien Sie bereit, selbst ein paar Risiken einzugehen.

Paul Bradford