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Oktober 2024

Einkaufsallianzen: Bald auch auf Ihrem Markt

von  Chris Atkins

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Europas Einzelhändler:innen schließen sich zunehmend zu Einkaufsallianzen zusammen, um ihre Verhandlungsposition gegenüber Lieferant:innen zu verbessern. Dieser Trend dürfte anhalten, weshalb Lieferant:innen ihre Reaktion auf das sich zugunsten des Handels verschiebende Machtverhältnis überdenken sollten. Wir analysieren die Bedrohung und betrachten einen verhandlungsorientierten Best-Practice-Ansatz.

Europäische Einkaufsallianzen im Einzelhandel sind seit Jahrzehnten ein etablierter Bestandteil des Handels. In jüngerer Zeit ist ein deutlicher Anstieg dieser Allianzen zu verzeichnen, einhergehend mit wachsender Bedeutung.

Warum dieser Anstieg?

Die aktuelle Entwicklung begann mit dem Aufkommen des Omnichannel-Handels und den damit verbundenen Herausforderungen für traditionelle stationäre Händler:innen. Verstärkt wurde sie durch die Stärke und Internationalisierung mächtiger Wettbewerber und Discounter.

Mit der Verschiebung des Machtverhältnisses erhielten Lieferant:innen mehr, teils erzwungene, Wahlmöglichkeiten bei der Verwendung ihres Promotionsbudgets. Gleichzeitig machte der Onlinehandel durch seine Reichweite Preisunterschiede bei Markenartikeln über Grenzen hinweg deutlich sichtbar.

Unter Druck auf die Margen entstand die Idee der Einkaufsallianzen. Diese ähneln historisch gewachsenen Genossenschaften, unterscheiden sich aber wesentlich dadurch, dass die beteiligten Händler:innen nicht in direkter geografischer Konkurrenz zueinander stehen.

Die Mitglieder solcher Allianzen verfügen über Stärke in unterschiedlichen Ländern oder Regionen. So können sie analysieren, welche Konditionen ein und derselbe Lieferant für ein identisches Markenprodukt in verschiedenen Märkten anbietet.

Dabei handelt es sich nicht um eine Ansammlung kleiner „Tante-Emma-Läden“. Vielmehr sind es die größten Händler:innen eines Landes oder einer Region, die Allianzen bilden. Die Allianz Epic umfasst beispielsweise die führenden Einzelhändler in Deutschland und Polen sowie die zweitgrößten in der Schweiz und in Portugal.

Der Fokus liegt auf Markenprodukten. Eurelec (Rewe, E.Leclerc und ab 2025 Ahold Delhaize) beschreibt sich so: „Unser Zweck als europäischer Großhändler ist es, Konsumgüter großer multinationaler Hersteller für die Märkte unserer Kund:innen in Österreich, Frankreich, Deutschland, Portugal und Polen zu verhandeln und einzukaufen.“

Welche Auswirkungen ergeben sich daraus?

Die zunehmende Verbreitung von Einkaufsallianzen und das dynamische Umfeld, in dem sie agieren, haben Konsumgüterunternehmen unter Druck gesetzt. Um Risiken zu steuern und wettbewerbsfähig zu bleiben, mussten sie zahlreiche Hürden überwinden.

Eine große Herausforderung sind überholte Entscheidungsprozesse und unterschiedliche Ansätze bei lokalen Gewinn- und Verlustrechnungen. Erstaunlich ist, wie stark sich Verhandlungsansätze innerhalb derselben Organisation unterscheiden können – selbst gegenüber ähnlich starken Verhandlungspartner:innen.

Ein erster Schritt zur Lösung besteht darin, die Führungskräfte der betroffenen Einheiten zusammenzubringen. Oft fehlt jedoch die Bereitschaft, Entscheidungsbefugnisse abzugeben. Abwehrhaltungen können entstehen, und schon ein einfacher Vergleich von Handelsbedingungen oder nationalen P&Ls gestaltet sich schwierig.

Hinzu kommt, dass Lieferant:innen ihre Verhandlungsstrategie häufig erst dann festlegen, wenn Allianzen nach umfassenden Analysen Forderungen stellen. Zu diesem Zeitpunkt liegt die Wissens- und Machtbasis klar bei den Allianzen.

Unsere Erfahrung zeigt: Einkaufsallianzen arbeiten oft nach dem Prinzip „Teile und herrsche“. Händler:innen agieren meist agiler als Lieferant:innen, die mit komplexeren, lokal geprägten oder matrixorganisierten Entscheidungsprozessen zu kämpfen haben. Führungskräfte auszurichten und auf gemeinsame Ziele einzuschwören, kostet viel Energie – und unter Druck steigt die Gefahr emotionaler Entscheidungen, die selten optimal sind.

Ein realistisches Szenario

Eine typische Einkaufsallianz besteht aus vier bis sechs Händler:innen, die geografisch verteilt sind, unterschiedliche Margen, Finanzstrukturen, Erfolgskennzahlen und Kulturen haben – und sich dennoch zusammenschließen, weil der potenzielle Gewinn groß genug ist.

Zukünftige Entwicklungen

Trends im Einzelhandel übertragen sich oft von Region zu Region. Bereits Anfang der 2010er-Jahre verbreiteten sich weltweit Forderungen nach geringeren Warenkosten (COGS). Herausforderungen bleiben bestehen – und heute verfügen Händler:innen über noch detailliertere Analysen zum Kaufverhalten.

Erfahrene Persönlichkeiten prägen neue Allianzen. Ein Beispiel ist Gianluigi Ferrari: 2006 Geschäftsführer bei Coopernic, 2014 Gründer von Core, 2016 Mitgründer von Agecore und heute CEO von Epic. Jede Allianz war größer und stärker als die vorherige. Das Geschäftsmodell entwickelte sich von reinen Einkaufsallianzen hin zu Dienstleistungsallianzen mit zunehmend ausgefeilter Wertschöpfung.

Die neue Realität und wie man mit ihr umgeht

Einkaufsallianzen in Europa werden größer und mächtiger. Die Vorteile sind offensichtlich. Doch könnten sie auch bald in Ihrer Region aktiv werden? Wie bereiten Sie sich vor?

The Gap Partnership empfiehlt sechs zentrale Maßnahmen:

EINS Region analysieren – Wo könnten Händler:innen ohne Überschneidungen zusammenarbeiten?

ZWEI Datenlage prüfen – Konditionen, Rabatte und Preise vergleichen, auch grenzüberschreitend.

DREI Unterschiede verstehen – Sind Abweichungen gerechtfertigt oder strukturell bedingt?

VIER Governance-Struktur schaffen – Teams befähigen, Entscheidungen zu treffen; ggf. Befugnisse abgeben.

FÜNF Aktionsplan entwickeln – Risiken minimieren und Verhandlungsziele definieren.

SECHS Weitere Maßnahmen erwägen – z. B. Revenue Growth Management (RGM) nutzen, um Vergleiche zu erschweren.

Handeln Sie jetzt

Eine der größten Herausforderungen bei der Entstehung von Einkaufsallianzen war fehlende Vorbereitung und Transparenz. Wer frühzeitig Einblicke in relative Konditionen gewinnt, sichert sich Vorteile.

Dieses Vorgehen ist auch wirtschaftlich sinnvoll: Es zeigt die Profitabilität eingesetzter Hebel, macht Ungleichgewichte sichtbar und ermöglicht eine Neubewertung von Geschäftsplänen und Jahresvereinbarungen.

Da es Jahre dauern kann, bestehende Konditionen anzupassen, ist ein frühzeitiger Aktionsplan eine solide Grundlage, um die Geschäftsentwicklung zukunftssicher zu machen. Selbst wenn Einkaufsallianzen nicht unmittelbar in Ihrem Markt aktiv werden, gewinnen Sie dennoch eine stabilere und strategisch fundiertere Sicht auf Ihre Handelsstrukturen.

Wer sich vertieft mit den wirtschaftlichen und wettbewerbsrechtlichen Auswirkungen von Einkaufsallianzen und der entsprechenden Gesetzgebung befassen möchte, findet in der Publikation Retail Alliances and Joint Purchasing agreements: Evaluating Benefits and Challenges in light of the Revised Horizontal fundierte Einblicke.

Über den Autor

Chris Atkins leitet den globalen Beratungsbereich bei The Gap Partnership. Er ist auf die Entwicklung strategischer, kommerzieller Lösungen in verschiedenen Branchen spezialisiert – unter anderem auf Preisanpassungen, Fusionen und Übernahmen, Ausschreibungen, Tarifverhandlungen und strategischen Einkauf. Seine Leidenschaft gilt der Lösung komplexer Herausforderungen und der Erzielung messbarer Ergebnisse für seine Kund:innen.

 

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Chris Atkins
The Gap Partnership